Abb. oben: Am Eser mit St. Ulrich und Afra, um 1900

     
 

Am Eser 21

[bis 1938 Lit. A 282]

 

Handwerkerhaus

Erbaut um 1635

 

Ulrichsviertel

Autorin: Rita Parisi

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Weber im Ulrichsviertel

In den Grundbüchern der Reichsstadt Augsburg gehen die frühesten Aufzeichnungen zum Anwesen "Am Eser 21" auf das Jahr 1580 zurück. Damals befanden sich auf dem dreiteiligen Grundstück "zwei Behausungen und ein Gärtlein". Im Westen grenzte die Klostermauer von St. Ulrich und Afra an, im Osten das Pfründhaus eines Conrad Herbst, und im Süden stand die mittelalterliche Stadtmauer. In den beiden kleinen Gebäuden wohnten und arbeiteten die Weberfamilien Bodenmüller und Wolf. Auch in den Folgejahren waren die Besitzer Weber. Erst während des Dreißigjährigen Krieges kam die Weberei, das am häufigsten im Lech- und Ulrichsviertel vertretene Handwerk, weitgehend zum Erliegen. Nach dem Abzug der schwedischen Truppen wurden die beiden Häuser abgebrochen.

 

Ein neues Lagerhaus

Der Salzhändler Kaspar Hochschilt kaufte 1634 die drei kleinen Grundstücke und ließ darauf ein einziges, 17 Meter tiefes und 12,20 Meter breites Haus bauen, das bis heute seinen ursprünglichen Charakter bewahrt hat. Das innere Gefüge des Baukörpers besteht aus einer ausgefachten Holzriegel-Konstruktion. Auffällig sind die breite Mittelachse mit der großen Toreinfahrt, die darüber liegenden, nach Süden gerichteten Fensterreihen und der damals schon zu Wohnzwecken ausgebaute hohe Giebel. Räume zur Salzlagerung erstreckten sich über das Erdgeschoss, das erste Obergeschoss und den Giebelspitz. Standort und Anlage des Hauses waren bewusst gewählt. Die Salzstraße, ein wichtiger Handelsweg, führte von Bad Reichenhall in Richtung Westen an Augsburg vorbei. Die Stadt selbst besaß an der Maximilianstraße einen Salzstadel mit angeschlossenen Lagerhallen. Zwanzig Jahre lang wohnten Hochschilt und seine Nachkommen in dem neuen Haus. Die nachfolgenden Besitzer waren meist vermögende Handelsherren, die das Gebäude als Lagerhaus nutzten. Sie sind aber in den Steuerbüchern nur zum Teil als Bewohner registriert.

 

Umbau durch einen Bierbrauer

1779 erwarb der Bürger und Bierbrauer Franz Xaver Hartum für 700 Gulden das Anwesen. Um dort eine Brauerei betreiben zu können, nahm er ein Darlehen von 1.000 Gulden auf, erweiterte das Gebäude und richtete einen Keller ein. Im Grundbuch ist festgehalten: "(...) das nämlich der große Kreuzstock (...) bleiben soll und der Käufer neben diesem großen Kreuzstock noch zwei kleine setzen dürfe, (...) mit der Zeit sollten Märzenkeller gemacht werden, (...) und dem Käufer erlaubt sein solle in das Höflein (...) zwei Kellerlöcher (...) machen zu lassen." Die Teilunterkellerung mit zwei getrennten Kellern rechts und links der Einfahrt ist noch heute eine Besonderheit des Gebäudes. Die Brauerei bestand 14 Jahre.

 

Fuhrleute im Haus

Nach 1798 wurde das Anwesen Lit. A 282 für etwa 100 Jahre von Fuhrleuten übernommen. Dies erklärt sich durch die Nähe zum Roten Tor und zur Reichsstraße, die in Richtung Süden führte. Noch heute deutet die über dem Kehlgebälk liegende Fensteröffnung mit Korbbogen und Seilzug auf die Nutzung des Dachbodens als Lager hin. Durch die Niederlegung der südlichen Stadtmauer ab 1866 entstand durch einen breiten Grünstreifen eine räumlich neue Situation.

 

 

Konstruktionsveränderungen um 1900

Bei diversen Umbauten des Gebäudes kam es auch zu statisch-konstruktiven Veränderungen. So wurde um 1900 mit Hilfe von Stahlträgern und Stahlsäulen zu Wohnzwecken eine Zwischenetage in die hohen Lagerräume im Erdgeschoss eingezogen. Die original vorhandene Dreiachsigkeit wurde zumindest im Erdgeschoss beibehalten. Um im Dachgeschoss den Einbau von Wohnungen mit Schleppdachgauben zu ermöglichen, schreckte man aber nicht davor zurück, aus dem handgeschlagenen Holzdachstuhl die so genannten Andreaskreuze, x-förmige Balkenverstrebungen, herauszuschneiden. An den nördlichen Giebel wurde möglicherweise schon früher ein weiteres Gebäude angebunden, das heute nicht mehr vorhanden ist.

 

Neue Nutzung als Kolonialwarenladen

Veranlasser dieser Maßnahmen waren die neuen Eigentümer des Bürger- und Handelshauses, die 1903 aus Stadtbergen zugezogenen Kaufleute Leonhard und Ursula Wiedemann. Deren Tochter Franziska erhielt 1904 die Genehmigung, zusammen mit ihrem Ehemann Hans Wunderer einen Kolonialwarenhandel einzurichten. Nach dem Tod ihres Mannes 1933 führte Franziska Wunderer den kleinen Gemischtwarenladen, wie es ihn damals in großer Zahl in allen Stadtteilen gab, bis 1950 weiter. Nach den Augsburger Adressbüchern wohnten Nachkommen der Familie Wunderer bis 1973 im Haus "Am Eser 21". Letzter Inhaber des Lebensmittel-
geschäftes war bis 1981 Max von Croy. Zeitweise saßen noch ein Schuhmacher und eine Teppichbodenreinigung im Erdgeschoss. Eigentümer des Hauses war allerdings seit 1930 die Stadt Augsburg.

 

Mieter und Obdachlose

Bis zum Zweiten Weltkrieg hatten sich neben der Familie Wunderer noch drei weitere Mietparteien in der ersten und zweiten Etage eingemietet. Nach 1945 waren aufgrund der knappen Wohnsituation acht Mietparteien einquartiert. Die meisten Bewohner waren Handwerker und Arbeiter. 1975 zogen türkische Gastarbeiter als erste ausländische Mieter ein; 1981 folgten Italiener.

 

Mitte der 1980er Jahre geriet das Gebäude durch mangelhaften Bauunterhalt und Vandalismus in immer schlechteren Zustand und war schließlich nicht mehr bewohnbar. Das völlig verwahrloste Haus nahmen Obdachlose in Beschlag. Im Mai 1991 wurde "Am Eser 21" sogar zum Schauplatz eines Mordes, als ein Bewohner im Streit erstochen wurde. Nach dem Mord ließ die Stadt das Haus von Schutt und Unrat reinigen und die Zugänge vermauern und abriegeln. Zu diesem Zeitpunkt waren auch andere Häuser in der Straße unbewohnt.

 

Sanierung 1995/96

Der Diakonieverein Eserwall erwarb 1995 auf Betreiben Gerd Warkentins das Anwesen, das damals bereits unter Einzeldenkmalschutz stand, und beauftragte das Architekturbüro Kunz und Partner (Neusäß) mit einer grundlegenden Sanierung und Modernisierung, geleitet von Architekt Hermann Stoffels. Die Stadt Augsburg unterstützte das Projekt mit einem großzügigen Kostenzuschuss. Mitglieder des Diakonievereins leisteten mit großem Einsatz Eigenarbeit.

 

Bei der Sanierung wurde der Mittelteil des Erdgeschosses um zwei Stufen tiefer gelegt. Die vorhandenen Türen und Kastenfenster konnten zum Teil erhalten werden. Im ersten und zweiten Obergeschoss musste teilweise ein neuer Holzboden verlegt werden. Die Elektro- und Sanitärinstallation wurde komplett erneuert. Am Dachstuhl tauschte man an einzelnen Stellen, die von Insekten befallen oder morsch waren, das Holz aus. Das Satteldach wurde gedämmt und mit Biberschwanzziegeln komplett neu gedeckt, der Dachspitz ausgebaut und die Schleppdachgauben neu gesetzt. Im Zuge der Renovierung wurde auch das so genannte Preußische Kellerdeckengewölbe aus der Jahrhundertwendezeit entfernt.

 

Betreutes Wohnen

Mit der Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes verfolgte der Diakonieverein Eserwall ein neues Nutzungskonzept "Betreutes Wohnen für junge Menschen in Krisensituationen". Im Erdgeschoss befinden sich ein Kontaktpunkt und ein kleines, öffentliches Café. In den darüber liegenden drei Stockwerken wurden zwölf Zimmer eingerichtet, die zur Unterbringung von Jugendlichen im Anschluss an eine psychiatrische Klinikbehandlung dienen. Des Weiteren beherbergt das Haus Therapie-, Aufenthalts- und Wirtschaftsräume, Küchen, Bäder und Toiletten. Das Gebäude verfügt über eine Nutzfläche von ca. 470 qm. Auch die angrenzenden Häuser werden heute vom Diakonieverein genutzt.

 

Typisch für die Geschichte des Ulrichsviertels

Mit seiner spezifischen Bau- und Nutzungsgeschichte steht das Anwesen "Am Eser 21" beispielhaft für die Häuser des ursprünglich von Handwerksbetrieben geprägten Augsburger Lech- und Ulrichsviertels. Angesichts des rapiden sozialen und städtebaulichen Verfalls ab den 1970er Jahren, bedingt durch Abwanderung und wirtschaftliche Vernachlässigung im Altstadtbereich, beschloss die Kommune ein Revitalisierungs- und Sanierungsprogramm, das auch den Erhalt dieses Stadtviertels einschloss. Anlass bot unter anderem die 2000-Jahr-Feier der Stadt, bei der sich das ehemalige Handwerker- und Wohnquartier mit seiner wertvollen historischen Bausubstanz in neuem Glanz zeigen sollte. Heute zählt das Ulrichsviertel wieder zu einer der beliebtesten Wohnlagen Augsburgs.

 

 

 

 

 

 

Verwendete Materialien

 

 

Gedruckte Quellen

- Adressbuch für Augsburg (1841-1897)

- Augsburger Adressbuch (1898-1921)

- Einwohnerbuch für Augsburg (1922-1956)

- Adressbuch der Stadt Augsburg (ab 1957)

- Augsburger Allgemeine, Nr. 107, 9./10.5.1991, S. 16

 

Stadtarchiv Augsburg

- Reichsstadt, Steuerbücher (1583-1717)

- Reichsstadt, Grundbuchauszüge (1580-1875)

- Reichsstadt, Hochzeitsamtsprotokolle

- Hausbogen Lit. A 282

- Polizeibogen Am Eser 21

- Familienbogen Leonhard und Ursula Wiedemann, geb. Stuhler

- Gewerbemeldekarten Johann und Franziska Wunderer

 

Staatsarchiv Augsburg

- Reichsstadt Augsburg, Grundbücher/Hypothekenbücher (1580-1822)

- Rentamt Augsburg-Stadt, Kataster (19./20. Jahrhundert)

 

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

- Ortsakt Augsburg, Am Eser 21

 

Kunz Architekten, Augsburg

- Restaurierungsgutachten Am Eser 21

 

Interviews

- Egon Kunz, Architekt

- Gerd Warkentin, Diakonieverein Eserwall

 

Bilder

Bayerisches Landesamt für Denkmalschutz, Rainer Ackermann, Privatbesitz, Architekturmuseum Schwaben

 

 

 

 

Literatur

 

Fürmetz, Gerhard / Nerdinger, Winfried / Wolf Barbara (Hg.):

Häusergeschichte(n). Augsburger Häuser und ihre Bewohner.

Augsburg 2009, S. 12-13.

 

Grünsteudel, Günther u. a. (Hg.): Augsburger Stadtlexikon.

2. Aufl. Augsburg 1988.

 

Hagen, Bernt von / Wegener-Hüssen, Angelika: Denkmäler in Bayern,

Bd. VII.83: Stadt Augsburg. Ensembles, Baudenkmäler, Archäologische

Denkmäler. München 1994, S. 9, 46-47.

 

Pfaud, Robert: Das Bürgerhaus in Augsburg. Tübingen 1976.

 

Stadt Augsburg (Hg.): Sanierung in Augsburg. Bericht des

Baureferates. Augsburg 1984.